| Ballade von den Seeräubern 1 Vom Branntwein toll und Finsternissen! Von unerhörten Güssen nass! Vom Frost eisweißer Nacht zerrissen! Im Mastkorb, von Gesichten blass! Von Sonne nackt gebrannt und krank! (Die hatten sie im Winter lieb) Aus Hunger, Fieber und Gestank sang alles, was noch übrig blieb: Oh Himmel, strahlender Azur! Enormer Wind die Segel bläh! Wind und Himmel fahren! Nur Lasst uns um Sankt Marien die See!
2 Kein Weizenfeld mit milden Winden, selbst keine Schenke mit Musik, kein Tanz mit Weibern und Absinthen, kein Kartenspiel hielt sie zurück. Sie hatten vor dem Knall das Zanken vor Mitternacht die Weiber satt: Sie liebten nur verfaulte Planken, ihr Schiff, das keine Heimat hat. 3 Mit seinen Ratten, seinen Löchern, mit seiner Pest, mit Haut und Haar. Sie fluchten wüst darauf beim Bechern und liebten es, so wie es war. Sie knoten sich mit ihren Haaren im Sturm in seinem Mastwerk fest: Sie würden nur zum Himmel fahren wenn man dort Schiffe fahren lässt. 4 Sie häufen Seide, schöne Steine und Gold in ihr verfaultes Holz. Sie sind auf die geraubten Weine in ihren wüsten Mägen stolz. Im dürren Leib riecht toter Djunken Seide glühbunt nach Prozession. Doch sie zerstechen sich betrunken im Streit um einen Lampion. 5 Sie morden kalt und ohne Hassen was ihnen in die Zähne springt. Sie würgen Gurgeln so gelassen wie man ein Tau ins Mastwerk schlingt. Sie trinken Sprit bei Leichenwachen. Nachts torkeln trunken sie in See und die, die übrigblieben, lachen und winken mit dem kleinen Zeh: 6 Vor violetten Horizonten still unter bleichem Mond im Eis. Bei schwarzer Nacht in Frühjahrsmonden wo keiner von dem andern weiß. Sie lauern wolfgleich in den Sparren und treiben funkeläugig Mord Und singen, um nicht zu erstarren wie Kinder trommelnd im Abort: | 7 Sie tragen ihren Bauch zum Fressen auf fremde Schiffe wie nach Haus Und strecken selig im Vergessen ihn auf die fremden Frauen aus. Sie leben schön wie noble Tiere im weichen Wind, im trunknen Blau! Und oft besteigen sieben Stiere eine geraubte fremde Frau. 8 Wenn man viel Tanz mit müden Beinen
und Sprit in satten Bäuchen hat mag Mond und zugleich Sonne scheinen: Man hat Gesang und Messer satt. Die hellen Sternennächte schaukeln sie mit Musik in süße Ruh« und mit geblähten Segeln gaukeln sie unbekannten Meeren zu. 9 Doch eines Abends im Aprile der keine Sterne für sie hat hat sie das Meer in aller Stille auf einmal plötzlich selber satt. Der große Himmel, den sie lieben hüllt still in Rauch die Sternensicht und die geliebten Winde schieben die Wolken in das milde Licht Oh Himmel, strahlender... 10 Der leichte Wind des Mittags fächelt sie anfangs spielend in die Nacht. Und der Azur des Abends lächelt noch einmal über schwarzem Schacht. Sie fühlen noch, wie voll Erbarmen das Meer mit ihnen heute wacht. Dann nimmt der Wind sie in die Arme und tötet sie vor Mitternacht. 11 Noch einmal schmeißt die letzte Welle zum Himmel das verfluchte Schiff. Und da, in ihrer letzten Helle erkennen sie das große Riff! Und ganz zuletzt in höchsten Masten war es, weil Sturm so gar laut schrie als ob sie, die zur Hölle rasten noch einmal sangen, laut wie nie:
Oh Himmel, strahlender Azur! Enormer Wind die Segel bläh! Laßt Wind und Himmel fahren! Nur Laßt uns um Sankt Marien die See!
Bertolt Brecht |